Ich habe mich für einen frühen Start entschieden, wohl wissend, dass die erste Etappe des Milford Track aus einer nur etwa zwei Stunden dauernden Wanderung besteht. So finde ich mich also morgens um halb zehn am Informationsbüro des Department of Conservation ein, der neuseeländischen Naturschutzbehörde, die die Wanderwege, Hütten und etliches anderes betreibt, instand hält und vermarktet. In Te Anau befindet sich dieses Büro von meiner Unterkunft aus gesehen am anderen Ende des Orts, so dass ich etwa 20 Minuten bis dort brauche. Einige andere Wanderer, die teilweise ebenfalls auf den Milford Track, teilweise auf den Routeburn Track wollen, warten dort bereits auf den Bus, der nach wenigen Minuten dann auch von Queenstown kommend eintrifft und weitere Wanderer mitbringt. Nachdem das Gepäck verstaut ist, bringt uns der halbvolle Bus in etwa 45 Minuten nach Te Anau Downs, wo wir “Milford-Wanderer” das Boot besteigen, um die gut einstündige Bootsfahrt zum Anfang des Tracks an der Glade Wharf genannten Anlegestelle zu beginnen. Mit an Bord sind auch etliche Japaner, die eine geführte Tageswanderung auf dem Track machen wollen. Während das Wetter in Te Anau und auch in Te Anau Downs noch sehr gut ist, sehen wir über dem Nordende des Sees, also dort, wohin es uns zieht, dunkle Wolken.

Leaving for Glade Wharf

Leaving for Glade Wharf

Als wir an der Glade Wharf ankommen, sieht das Wetter dann aber doch etwas freundlicher aus, so dass wir zuversichtlich sind, die heutige Etappe im Trockenen zurücklegen zu können. Bevor wir uns auf den Weg machen können, muss jeder von uns durch eine kleine Wanne spazieren, um die Schuhe zu reinigen: Die Gewässer hier sind im Gegensatz zu vielen anderen noch nicht von Didymo, einer vor gut 10 Jahren eingeschleppten aggressiven Algenart, betroffen – und das möchte man gerne so beibehalten. Wer uns hingegen sofort befällt, sind die Sandflies. Kaum sind wir von Bord gegangen, fallen sie über uns her, sobald wir stehenbleiben.

Dark Clouds Over Clinton Valley

Dark Clouds Over Clinton Valley

Während das Wetter sich immer mehr für die Sonnenseite entscheidet, wandern wir durch den Wald über den hier am Anfang sehr ebenen und breiten Wanderweg und kommen schon bald zum Glade House, das für die geführten Wanderer – von denen sich keine bei uns an Bord befanden – der erste Zwischenstopp ist. Über eine erste Swingbridge geht es für uns weiter zur Clinton Hut. Bis dorthin ist der Weg fast komplett eben und lässt sich zügig gehen. Gemeinsam mit einem weiteren Deutschen sind wir die ersten, die heute die Hütte erreichen und haben so freie Bettwahl. Während nach und nach weitere Wanderer von unserem Boot und am Nachmittag die weiteren Wanderer, die das Boot am Nachmittag genommen haben, in der Hütte eintreffen, mache ich mich auf Fototour und versuche, etwas von der lokalen Tierwelt, also im wesentlichen Vogelwelt, fotografisch einzufangen. Dabei bin ich leider nur mäßig erfolgreich, auch wenn ich den ein oder anderen Vogel erwische.

Clinton Hut

Clinton Hut

Am frühen Abend versammeln sich dann mehr oder weniger alle Mitwanderer im Gemeinschaftsraum, in dem sich die mit Gaskochern und Spülbecken ausgestatteten Küchen sowie Esstische befinden. Das gesamte Ensemble dieser Hütte besteht außerdem aus zwei Schlafhütten mit je gut 20 Betten, einer großen, bis auf die Sandflies sehr gemütlichen, sonnenbeschienenen Terrasse, einem separat stehenden Toiletten- und Waschhäuschen, einer Hütte für den Hüttenwart sowie einer Landeplattform für Helikopter. Beim Kochen und Essen ergeben sich Gespräche mit zahlreichen anderen Wanderern – den ersten Gesprächsanlass bietet oft das Trockenfutter, an dem sich viele erstmals versuchen; bei mir gibt es Maroccan Lamb.

Die Gruppe ist bunt gemischt. Insgesamt sind (nur) sieben Deutsche dabei, außerdem vier Niederländer, sechs Israelis, drei Australier (einer davon geborener Kiwi, einer geborener Koreaner – der einzige außer mir, der den Milford Track schon gegangen ist), dann noch Kanadier, Waliser, Engländer, zwei Japaner – und tatsächlich sieben Neuseeländer. Unter letzteren befindet sich auch der älteste Mitwanderer im stolzen Alter von 78 Jahren; seine vier Kinder sind mit dabei und tragen einiges von seinem Gepäck, so dass er nicht ganz so schwer tragen muss wie wir anderen, aber er ist wirklich noch sehr fit, wie sich in den nächsten Tagen zeigt.

Um acht Uhr abends folgt der obligatorische Hut Talk des Hüttenwarts, in diesem Fall von Ross, einem neuseeländischen Urgestein jenseits der 60, der seit 13 Jahren in dieser Hütte seinen Dienst tut und offenbar jeden Stein hier mit Vornamen kennt. Der Hut Talk ist – wie bei den meisten der Wardens – eine Mischung aus Sicherheitsbelehrung (wo sind die Notausgänge, was ist bei Feuer zu tun, worauf ist im Umgang mit den Gaskochern zu achten), Informationen (über Flora, Fauna und die Highlights der am nächsten Tag bevorstehenden Etappe) sowie Witzen und Anekdoten. Besonders gelungen sind die Imitationen von Vogelstimmen, die uns ermöglichen sollen, die entsprechenden Arten zu erkennen, wenn wir ihnen begegnen. Danach begeben sich die ersten bereits in die Betten, während die Mehrheit zumindest noch ein Weilchen im Gemeinschaftsraum bleibt und die Gelegenheit nutzt, einander ein wenig kennenzulernen. Nur wenige von uns gehen später noch einmal zum Helipad, von dem aus sich ein herrlicher Blick auf den Sternenhimmel werfen lässt – Orion und das Southern Cross sind gut zu erkennen, wenn man weiß, wie sie aussehen, und auch die Milchstraße ist zu sehen.

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