Die Vorhersage für den heutigen Tag ist eigentlich gut, aber der Morgen sieht erst einmal etwas trübe aus. Wie üblich ziehen dennoch etliche Wanderer früh von dannen, noch gut eingepackt, weil es sich leicht feucht anfühlt und so aussieht, als könnte es jeden Moment leicht zu regnen beginnen. Ich lasse mir ein wenig mehr Zeit mit dem Frühstück (Müsli mit Milchpulver, dazu Tee) und starte erst gegen 9 Uhr, als sich die offenbar sehr dünne Wolkendecke aufzulösen beginnt und die umliegenden Berge hinter der verbliebenen Schleiern allmählich zum Vorschein kommen. Da es also schön zu werden verspricht, nehme ich gleich die langen Hosenbeine ab und gehe in kurzer Hose und ohne Jacke.

Tree in Clinton Valley

Tree in Clinton Valley

Leute, die den Milford Track noch nicht gegangen sind (oder auch einen anderen reglementierten Track, bei dem nur so viele Wanderer auf den Weg gelassen werden, wie in den Hütten untergebracht werden können), sind oft der Meinung, dass diese Wege überlaufen seien. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall, da ja eben nur 40 “freie” und etwa 50 “geführte” Wanderer auf dem Weg sind. Letztere übernachten in eigenen, recht luxuriösen Hütten, die immer ein bis zwei Wegstunden hinter unseren Hütten zurückliegen. Wenn man sich also nicht zu spät auf den Weg macht oder sehr viel Zeit lässt, sieht man diese Wanderer eher selten. Je nach eigenem Gehtempo und dem der Weggefährten sieht man auch von diesen eher wenige. Und so genieße ich die ersten Kilometer des Wegs ganz alleine bei immer besser werdendem Wetter. Kurz nach Mittag haben sich schließlich alle Wolken aufgelöst und wir wandern nun unter strahlend blauem Himmel.

Clinton River

Clinton River

Dann und wann überhole ich einen der Mitwanderer und treffe am Bus Stop Shelter – an dem natürlich keine Busse halten, der aber eben von der Lage neben dem Weg und vom Aussehen her ein wenig an ein Haltestellenhäuschen erinnert – eine kleine Gruppe der Weggefährten, die gerade ihren Mittagsimbiss zu sich nimmt. Ich geselle mich zu ihnen und verzehre meine morgens geschmierten Vegemite-Käsebrote. Ansonsten besteht die Wegzehrung bei mir aus Müsliriegeln, einem Apfel und einem Schokoriegel. Dazu gibt es Wasser, das in den Hütten entweder als Regenwasser aufgefangen wird oder aus einem nahen Bach eingespeist wird. Auch eine kleine Thermoskanne mit morgens zubereitetem Tee trage ich meist bei mir, den ich dann üblicherweise zu den Broten trinke oder bei schlechtem Wetter auch gerne bei weiteren Zwischenstopps.

At Hidden Lake

At Hidden Lake

Den zweiten Teil des Tages gehe ich mit den beiden Kanadiern – Vater und Sohn – gemeinsam. Eine kleine Gruppe unserer Mitwanderer hat es sich etwas abseits des Wegs an einem der eher spärlich fließenden Bäche gemütlich gemacht und badet dort. Als wir um etwa drei Uhr nachmittags an der Mintaro Hut ankommen, haben sich einige der vor uns Angekommenen an den nahegelegenen See begeben, um dort zu baden. Ich dagegen habe noch etwas anderes vor…

Top of Clinton Valley in the Afternoon

Top of Clinton Valley in the Afternoon

Schon unterwegs haben wir nicht nur immer wieder schöne Ausblicke auf die umliegenden Berge, sondern auch auf die Steilwand, auf deren Höhe der morgen zu überquerende Pass liegt. Der Himmel ist komplett blau, fast keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Als ich vor zwei Jahren hier war, hatten wir am zweiten Tag ebenfalls recht gutes Wetter, doch je näher wir der Mintaro Hut kamen, desto mehr Wolken sammelten sich am Pass, bis dieser schließlich mehr oder weniger eingehüllt war. Die Vorhersage für morgen lautet: Fine, later rain. Das sollte eigentlich also gut genug für den Pass sein, da es von der Hütte aus nur etwa eineinhalb Stunden dauert, bis man auf der Höhe ist. Da aber jede Wettervorhersage für das Fiordland, die über 12 Stunden hinaus geht, mit äußerster Vorsicht zu genießen ist, will ich mich darauf nicht verlassen.

Ich nehme daher noch einen kleinen Imbiss zu mir, stecke mir zwei Müsliriegel ein, den Objektivköcher mit dem 24mm-Objektiv an den Gürtel und nehme die Kamera in die Hand – und auf geht’s. Noch weiß ich nicht, ob ich wirklich bis zur Passhöhe gehe oder nur ein Stück des Wegs. Aber nach etwa 20 Minuten treffe ich Katie, die Hüttenwartin der Mintaro Hut, die hier gerade mit Ausbesserungsarbeiten am Weg beschäftigt ist. Bei einem kurzen Plausch meint sie, dass ich es ohne Gepäck von dieser Stelle aus in 40 Minuten bis oben schaffen müsste – und dass außer mir dort niemand sei, ich also die mehr oder weniger einmalige Gelegenheit hätte, den Pass bei bestem Wetter für mich ganz alleine zu haben. Wenn das mal keine Argumente sind…

Mackinnon Memorial

Mackinnon Memorial

Und tatsächlich brauche ich trotz einiger Fotostopps kaum länger als sie geschätzt hat. Der Pass ist im Grunde ein etwas langgezogener, breiter Berggrat mit einem Hügel in der Mitte. Das Ende des Anstiegs kündigt sich mit dem Meilenpfosten Nummer 16 an. Kurz darauf erblickt man das Mackinnon Memorial, ein Denkmal für den europäischen Entdecker des Passes Quintin Mackinnon. Von dort eröffnen sich Ausblicke in das Tal des Roaring Burn und des Arthur River, durch das die Wanderung weiterführt, und die Berge auf der anderen Seite des Tals. Hier gibt es auch den berühmten 12-Second-Drop: So lange soll es dauern, wenn man hier etwas die senkrecht abfallende Wand hinunterfallen lassen würde – was man natürlich nicht darf. Über den kleinen Hügel mache ich mich auf den Weg über die eigentliche Passhöhe hinweg bis zum Mackinnon Shelter, der Schutzhütte am anderen Ende des Passes. Von dort eröffnet sich der Blick in das Tal des Clinton River zurück, durch das wir heute und gestern gewandert sind. Dieses liegt wunderschön in der Nachmittagssonne vor mir. Neben der Schutzhütte befindet sich auch “A loo with a view”, das Plumpsklo mit der besten Aussicht im gesamten Fiordland, wenn nicht in der gesamten Welt: Direkt vor der Tür, die extra mit einem Fenster versehen ist, damit man bei Erledigung des Geschäfts die Aussicht genießen kann – was eine bestimmte Sitzhaltung erfordert –, fällt die Steilwand wieder fast senkrecht ab, so dass das Auge über ein herrliches Panorama schweifen kann.

Mackinnon Pass

Mackinnon Pass

Dann wird es Zeit für den Rückweg, der natürlich aus einem entsprechend langen Abstieg besteht. Als ich an der Hütte ankomme, weiß ich, dass die Entscheidung, den Pass heute zu erklimmen, richtig war – dem morgigen Tag und seinem Wetter kann ich ganz entspannt entgegen sehen. Meine Beine allerdings sind anderer Meinung: Sie meinen, dass ich morgen wohl ganz langsam gehen werde. Mein Tütenabendessen – Thai Chicken Curry, verlängert mit Couscous – habe ich mir auf jeden Fall verdient, bevor wir Katies Hut Talk lauschen, miteinander quatschen und schließlich ins Bett gehen.

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