Als wir morgens aufstehen, macht sich bei allen eine gewisse Enttäuschung breit: Es scheint doch nicht erst am Nachmittag schlechteres Wetter zu geben, denn der Himmel über uns zeigt eine niedrige, vollständig geschlossene Wolkendecke. Wieder brechen etliche Mitwanderer sehr früh auf, wohl weil sie befürchten, dass das Wetter nur schlechter werden kann – denn die Vorhersage sprach ja von sich eher verschlechternden Wetterverhältnissen. Da ich den Pass gestern schon in bestem Wetter gesehen habe, kann ich das Ganze entspannt angehen und verlasse mit der einzigen Amerikanerin, die sich unter uns befindet, die Hütte als letzte, als Katie noch um die Ecke kommt und uns bittet, ein paar Arzneimittel mitzunehmen, mit denen ein Vorrat an der nächsten Hütte, der Dumpling Hut aufgefüllt werden soll, nachdem es dort gestern eine Verletzung gegeben hat: Beim langen Abstieg vom Pass ist jemand umgeknickt, hat sich aber wohl nur eine leichte Verletzung zugezogen. Katie verrät uns noch, dass wir wohl mit dem Wetter Glück haben werden, da über uns nur eine dünne Wolkendecke liegt, die auch bereits hier und da Lücken aufweist und den blauen Himmel darüber erahnen lässt, und die Wettervorhersage dahingehend korrigiert wurde, dass es in dieser Region bis zum Abend trocken bleiben soll.

Top of Clinton Valley in the Morning

Top of Clinton Valley in the Morning

Von dieser Prognose beflügelt, entscheide ich mich wieder für die kurzen Hosen, die Jacke ziehe ich aber erst nach knapp 15 Minuten an der ersten Swingbridge des heutigen Tages aus, da ich weiß, dass nun gleich der Anstieg beginnt und es mir dabei sicher nicht zu kalt sein wird. Langsam, aber kontinuierlich gehe ich bergan und erreiche schließlich gemeinsam mit der neuseeländischen Familie das Memorial. Nur wenige Minuten später treffen auch schon die ersten der geführten Wanderer ein, so dass hier oben nun reichlich Betrieb ist. Dennoch kann man gar nicht anders, als das sich bietende Spektakel zu genießen. Denn bereits auf halber Höhe des Anstiegs sind wir praktisch durch die Wolkendecke hindurch gestiegen, haben also über uns blauen Himmel und sehen das Tal des Clinton River, durch das wir gestern gekommen sind, unter einem Wolkenteppich.

Clinton Valley Inversion

Clinton Valley Inversion

Der Pass selber ist allerdings nicht wolkenfrei, auch die umliegenden Berge nicht. Denn aus dem Tal des Arthur River, das ebenfalls unter Wolken nur zu erahnen ist, treibt der kräftig pustende Wind die Wolkenfetzen über den Pass und uns um die Ohren – Zeit, die Jacke wieder anzuziehen. Die Aussichten verändern sich dadurch nicht etwa minütlich, sondern wirklich sekündlich. Wer nicht schnell genug guckt, verpasst die freie Sicht auf die Berge oder ins Tal, aber der nächste Blick lässt nicht lange auf sich warten. Nachdem ich einige Fotos geschossen habe, gehe ich weiter zum Shelter am anderen Ende des Passes. Zeitweise kann man gerade einmal 50 Meter weit sehen, so dass ich die Schutzhütte erst auftauchen sehe, als ich schon fast dort bin. Der Blick vom Loo with a View ist heute ein ganz anderer als noch gestern – in erster Linie sieht man Wolken vorbeiziehen, aber zwischendurch auch immer wieder einmal das Tal oder die Berge hervorlugen.

Morning Mist

Morning Mist

In der Schutzhütte hat sich fast die Hälfte unserer Gruppe versammelt. Einige hat es offenbar nicht lange auf der Passhöhe gehalten, andere haben in der Hoffnung auf bessere Ausblicke noch einmal den Weg zurück zum Memorial angetreten. Die meisten aber bereiten sich hier erst einmal etwas zu essen oder kochen sich einen Tee. Auch ich mache hier meine Lunch Break mit Brot und Tee, halte mich aber nicht so lange damit auf wie diejenigen, die hier erst noch den (im Shelter bereitgestellten) Kocher zur Zubereitung von etwas Warmem bemühen. An den Abstieg vom Pass begebe ich mich mit einem der deutschen Mitwanderer. Schon wenige Hundert Meter, nachdem wir den Pass verlassen haben, haben wir auch die Wolken hinter uns gelassen und sehen den dort oben treibenden Wolkenfetzen zu, während wir schon wieder unter blauem Himmel wandern – und uns wieder unserer Jacken entledigen.

Der Abstieg ist ein langwieriges Unterfangen und der schwierigste und verletzungsanfälligste Teil der Wanderung, da es ohne Unterbrechung etwa 1000 Höhenmeter nach unten geht. Da das ganz schön auf die Muskulatur, Bänder und Gelenke geht, muss man sich hier immer wieder selber bremsen und zu wenigstens kurzen Pausen zwingen. In einem weiten Bogen geht es zunächst auf die gegenüberliegende Talseite, wo sich bald ein erster Blick auf die Sutherland Falls ergibt, die mit über 570 Metern Höhe lange Zeit als die höchsten Fälle Neuseelands galten. Wir folgen weiter dem neben uns fließenden Roaring Burn, der schon bald mit einem ansehnlichen Wasserfall seinem Namen alle Ehre macht. Ansonsten ist hier aufgrund der langen Trockenheit eher wenig von Wasserfällen zu sehen – von den ungezählten, die ich hier schon bei anderem Wetter erlebt habe, tröpfeln nur einige wenige vor sich hin.

Nach dem endlos scheinenden Abstieg erreichen wir die Quintin Hut, in der die geführten Wanderer übernachten. Freundlicherweise stellen die Veranstalter auch uns “freien” hier Teebeutel, Kaffeepulver und heißes Wasser zur Verfügung, so dass wir einen kleinen Zwischenstopp einlegen können. Normalerweise würde man hier nun seinen Rucksack stehenlassen und mit kleinem Gepäck, sprich der Kamera, zu den Sutherland Falls aufbrechen. Der Weg zu deren Basis, wo man hervorragend die Dichtigkeit der Regenkleidung testen kann, ist derzeit jedoch versperrt: Vor einigen Wochen ist dort auf 150 Metern Länge eine Gerölllawine niedergegangen, die bisher noch nicht beseitigt werden konnte, da der Abbruch noch nicht nur Ruhe gekommen ist, also immer noch Steine nachrutschen. Da nicht klar ist, ob der alte Weg überhaupt wieder eröffnet werden kann, arbeitet man derzeit an einer Umgehung. Uns aber bleibt der Weg versperrt.

Sutherland Falls

Sutherland Falls in the Distance

Also geht es für uns weiter zur Dumpling Hut, die noch etwa eine Stunde entfernt ist. Der Weg dorthin ist ab hier nun weitestgehend eben, so dass wir hier zügig gehen können und endlich wieder andere Muskeln als beim Abstieg gefordert sind. Nach einem – wegen der Vielzahl der anwesenden Sandflies sehr kurzen – Bad im Fluss ganz in der Nähe der Hütte folgen die üblichen Rituale: Back Country Cuisine (heute Beef Teriyaki), Hut Talk, Gespräche mit den anderen Wanderern und – wegen allgemeiner Erschöpfung und weil die meisten morgen früh aufbrechen wollen, um ihr Boot zu erwischen – bald ins Bett.

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